Peter Friedrich Stephan über Design

Peter Friedrich Stephan über «Designing Matters of Concern» und «Transformationsdesign»

Ein Blick auf die Bedeutung von Design im 21. Jahrhundert

Von David Krieger

Peter Friedrich Stephan lehrt an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Er ist Designer und Designtheoretiker. Er ist einer derjenigen Forscher, welche sich mit den zukünftigen Herausforderungen des Designs philosophisch auseinandersetzt. Nach seiner Auffassung und wenn man die Zeichen der Zeit richtig liest, wird Design zum Schlüsselbegriff des 21. Jahrhunderts. Aber Peter Friedrich Stephan ist nicht der Einzige, der so denkt. Auch jemand, der den Designbegriff neu definiert für eine Welt, in der fast alles in irgendeiner Art und Weise «gestaltet» werden muss, ist der französische Ethnologe und Vater der Akteur-Netzwerk-Theorie, Bruno Latour. Viele der Ideen, auf die Stephan sich beruft und welche neu entdeckt wurden durch die Nienetwiler Forschung, finden sich in den Werken von Latour. Es könnte behauptet werden, dass Latour als Vorreiter der Anerkennung der Bedeutung von Nienetwil eine grosse Rolle spielt. Latour ist heute vor allem durch seine Arbeit für ein neues Verständnis der Beziehung zwischen Menschen und Natur und seine Bücher sowie Ausstellungen zum Thema Gaia und Klimawandel bekannt.[2] Im Text von Peter Friedrich Stephan mit dem Titel «Designing Matters of Concern», den wir im Folgenden besprechen, beschäftigt sich der Autor mit den Herausforderungen, welche Latour an Designer in der heutigen Welt stellt. Wenn Designer durch ihre vielfältigen Tätigkeiten überall für jede Intervention des Menschen in die Welt verantwortlich werden, wenn fast alle Aspekte des Lebens als Aufgaben für gutes Design verstanden werden, dann müsste man fragen, was Design bedeutet und was «gutes» Design ist.

Ursprünglich war vorgesehen, die deutsche Übersetzung des auf Englisch verfassten Artikels von Professor Stephan an dieser Stelle vollständig wiederzugeben, aber die Länge des Textes sowie die Tatsache, dass der Artikel für ein Fachpublikum mit entsprechendem Vorwissen geschrieben wurde, führte dazu, dass wir den Text eher in Form einer Rezension präsentieren. Wir bedanken uns bei Prof. Stephan für die Erlaubnis, seinen Text zu übersetzen und in dieser kommentierten und interpretierten Form wiederzugeben.

Die Herausgeber

 

Der Professor für Transformation Design an der Kunsthochschule für Medien Köln Peter Friedrich Stephan eröffnet seine Überlegungen mit einer Beschreibung der Herausforderungen an Design, die Bruno Latour in einem Referat von 2008 vor der Design History Society hielt. Warum, so fragt Latour, haben die Designer nicht Methoden entwickelt für die Visualisierung von Matters of Concern, wie sie diese für die Darstellung von Matters of Fact getan haben? Um die Tragweite dieser Frage einzuschätzen, muss man den Unterschied verstehen zwischen dem, was Latour Matters of Concern nennt und dem, was er als Matters of Fact bezeichnet. Latour spricht von Matters of Concern als Alternativ- bzw. Gegenbegriff zu Matters of Fact. Matters of Fact sind objektive Tatsachen des wissenschaftlichen Erkennens, blosse Dinge, Gegenstände, die unabhängig von Menschen in der Welt vorhanden sind oder als Artefakte irgendwelcher Art von Menschen geschaffen werden. Der Begriff Matters of Concern dagegen soll zum Ausdruck bringen, dass objektive Tatsachen und Dinge, die angeblich unabhängig von den Menschen existieren, eigentlich nicht der Realität entsprechen. Die Klimaveränderung ist zwar eine Tatsache, aber sie ist viel mehr: Sie ist etwas, das uns existenziell angeht, etwas zutiefst mit uns Menschen Verwobenes. Sie ist zwar objektiv, aber zugleich subjektiv. Der Klimawandel spricht nicht für sich, sondern braucht Menschen, die für ihn sprechen und ihm einen Sinn geben. Die Klimaveränderung wird demnach nicht nur von der wissenschaftlichen Forschung «behandelt», sondern auch in politischen Debatten und wirtschaftlicher Spekulation, in ethischen Überlegungen, gesetzlichen Regulierungen und der Rechtsprechung, in der Städteplanung, in Kunstausstellungen, im Schulunterricht und in vielen weiteren Bereichen. Die Klimaveränderung kann also nicht eine blosse Tatsache sein, da sie in so vielen Verhandlungen, Diskussionen, politischen und sozialen Auseinandersetzungen eine zentrale Rolle spielt. Diese Verstrickung von Dingen und Menschen, von Subjektivität und Objektivität ist das, was der Begriff Matters of Concern zum Ausdruck bringen soll. Eine adäquate Übersetzung könnte etwa lauten: «Sachen, die uns etwas angehen». Da solche Umschreibungen schwerfällig sind, verzichten wir im Folgenden auf eine Verdeutschung und verwenden den englischen Begriff. Nach dieser kurzen Begriffsklärung kehren wir zurück zur Frage, warum die Design-Disziplinen im Laufe der Geschichte sich auf Matters of Fact, d. h. blosse Tatsachen oder Dinge fokussierten und nicht auf die schon viel wichtigeren Matters of Concern.

Die Frage ist wichtig, nicht nur weil Probleme wie die Klimaveränderung uns alle existenziell betreffen, uns herausfordern und weil sie den Gegenstand von Verhandlungen auf allen Ebenen bilden, sondern weil wir, so scheint es auf jedem Fall, zunehmend darauf angewiesen sind, unsere Welt und unsere Leben als Aufgaben des Designs zu betrachten. Obwohl Latour – und Stephan auch – von «Visualisierung» sprechen, reicht Design weit über den Bereich der visuellen Darstellungen hinaus. In einer Welt, in der alles in irgendeiner Weise von Menschen «gestaltet» werden muss, bekommt Design eine völlig andere Bedeutung als jene, die traditionellerweise unter «Gestaltung» verstanden wurde. Design ist nicht mehr nur die Verschönerung funktioneller Gegenstände oder das Entwerfen von Plänen und Prototypen. Design ist die Art und Weise, wie alles um uns herum in die Existenz gerufen wird und auch wie wir Menschen selbst unsere Existenz vollziehen. Die zunehmende Abhängigkeit von und Verwobenheit des menschlichen Lebens mit Technologie bezeugt diese Situation. Es gibt nicht produktive Arbeit irgendwelcher Art und dann kommt, gleichsam als Nebengedanke, Design hinzu, um die Dinge zu verschönern. Es geht nicht bloss um die Entwicklung neuer Produkte. Alles ist heute ein Matter of Concern und muss von einer neuartigen und viel breiteren Auffassung von dem, was Design bedeutet, angegangen werden.

Latours Herausforderung, dass Design sich mit Matters of Concern und nicht mit Matters of Fact befassen soll, wird zwar zunächst an die professionellen Designer gestellt. In Wirklichkeit aber greift sie viel tiefer in das menschliche Handeln und das Wesen des Menschen. Die Frage müsste also nicht nur an die professionellen Designer gestellt werden, sondern an uns alle. Es geht um das Wesen des Handelns selbst, das in jeder Auseinandersetzung mit der Welt, d. h. mit Matters of Concern, herausgefordert ist. Mit dieser Anmerkung über die Tragweite der Diskussion, die wir nun vorausgeschickt haben, kehren wir zurück zu Stephans Frage nach der Bedeutung und den Optionen für Design in der heutigen Welt.

Stephan hält fest, dass Designer schon lange vor Latours Betonung von Matters of Concern Formen der Visualisierung von komplexen, mehrdeutigen Sachlagen entwickelt haben. Er führt die folgenden Beispiele an:

  • Fussballspiele, d. h. Matters of Concern, die Millionen von Menschen angehen, werden in unerträglichen Details visualisiert (Heatmaps, 3-D-Simulation, Spielergebnisse, finanzielle Transaktionen usw.).
  • Tweets werden in Echtzeit visualisiert, um das Verständnis der Dynamik sozialer Systeme zu erleichtern.
  • Ein architektonischer Überblick über das Stadtgebiet von Venedig, der die verschiedenen Perspektiven der Innenstadtbevölkerung, der Touristen und der illegalen Einwanderer in einem Atlas mit umfassenden Grafiken abbildet.
  • Das neue Feld des Datenjournalismus, welches neue, integrative Formen der Darstellung von Text und Bildern, dynamische Präsentationen und vermittelte Interaktionen entwickelt, kann die Expertise für die Strukturierung und Visualisierung von Matters of Concern und die durch sie ausgelösten Debatten liefern.

Stephan fügt dieser Liste auch wichtige Beiträge aus der Designgeschichte hinzu, die auf potenzielle Lösungen zum Problem des Designs von Matters of Concern hinweisen. Diese sind Buckminster Fullers «World Game» (1961),[3] verschiedene Arbeiten von Charles und Ray Eames,[4] die Designgruppen aus den 1960er- und 1970er-Jahren, die auf Ergonomie und User Experience fokussierten, und die Beiträge von Otto Neurath zu den Isotypen (1939),[5] die als Amalgam aus Wissenschaft, Politik und Kunst gesehen werden können. In allen diesen Beispielen geht es um Designprogramme, die weit über ein bestimmtes Ding oder Produkt hinausgehen und viele Faktoren berücksichtigen, welche die Umwelt, das Nutzen, die sozialen Wirkungen eines Produkts mit in Betracht ziehen und in den Designprozess integrieren.

 

Stephan schliesst diesen Rückblick auf die Geschichte des Designs mit der Behauptung, dass die Bewältigung heutiger Herausforderungen an Design auf einer dreifachen Basis entwickelt werden könnte: Erstens ist dies ein neues Verständnis von Wissenschaft, welches das soziale und kulturelle Eingebettetsein von Wissenschaft betont und somit weg von der Idee bloss objektiver Tatsachen geht; zweitens muss Design als ein expliziter politischer und sozialer Anspruch begründet werden, es kann also nicht auf blosses Marketing hinauslaufen; und drittens muss Design durch einen besonderen künstlerischen Stil ausgezeichnet sein, was bedeutet, dass Design etwas anders ist als nur Produktion und Marketing, sondern in der Nähe zu Kunst steht. Kurz: Design muss seine traditionellen Fachgrenzen und gesellschaftlichen Funktionen überschreiten und vieles mehr in Betracht ziehen, als dies bisher der Fall war. Design kann nur den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden, wenn es etwas völlig Neues wird. Was wird dann aus Design, wenn es Matters of Concern und nicht bloss das Entwerfen von schönen Produkten als die eigentliche Aufgabe hat?

 

Stephan stellt diese Frage an Latour zurück und meint, dass die Aufgabe von Design nicht darin liegen kann, einfach alles, was irgendwie eine Situation beeinflusst, transparent und sichtbar zu machen. Dies sieht man, so Stephan, am Beispiel des Theaters. Genau das, was eine Theateraufführung wirksam macht, nämlich dass die Zuschauer im Dunkeln sitzen und von der umgebenden Welt inklusive der ganzen Maschinerie des Theaters «absehen», können sie sich mit den Geschehnissen auf der Bühne «identifizieren». Wenn die Visualisierung von Matters of Concern heissen soll, dass man wirklich alles, das zu einem Event oder einer Situation oder einem Artefakt in irgendeiner Art und Weise beiträgt, sichtbar macht, dann würde dies die Magie des Theaters zerstören. Wie Stephan schreibt, würde dies bedeuten, dass man versuchen würde, «alle Perspektiven der Akteure abzubilden, die zusammen die komplexe soziotechnische Maschinerie eines Theaters bilden, einschliesslich der politischen Institutionen, der finanziellen Ströme, Arbeitsbedingungen, Gebäude, Infrastruktur, Tourismus, Fahrkartenverkauf usw.». Offensichtlich wäre dies eine kognitive Überforderung, da man gar nicht wüsste, worauf man schauen sollte. Es gäbe schlichtweg zu viele verschiedene Aspekte, Akteure, Dinge und Geschehnisse.

 

Nach Stephan gibt es demnach zwei Auffassungen davon, was die Aufgabe von Design ist:

  1. Die traditionelle Aufgabe des Designers: die Inszenierung von Artefakten als eine Aussage über Werte und Nutzen, neue Formen der Interaktion und Gründe für Diskussionen.
  2. Die neue Aufgabe des Designers: Visualisierung komplexer und dynamischer sozio-technischer Systeme und der kontroversen Positionen von Stakeholdern.

 

Folgt man der zweiten Interpretation, so Stephan, sollte man Design so verstehen, wie dies in Diskussionen über «Design für sozialen Wandel»[6] geschieht. Die Idee von Design für sozialen Wandel ist aus dem Bewusstsein entstanden, dass Designer eine Rolle spielen können in Fragen der sozialen Gerechtigkeit, bei der Verbesserung der Lebensbedingungen von Behinderten und Minoritäten und in Bezug auf ökologische Probleme. Es geht darum, dass Design nicht nur aus wirtschaftlicher oder gar künstlerischer Sicht praktiziert wird, sondern mit Sicht auf die Gesellschaft als Ganzes und auf die realen Bedürfnisse der Menschen. Um von dieser viel breiteren Perspektive aus Design zu betreiben, heisst, dass Design sich mit Politik, Wissenschaft, Bildung, Recht, Städteplanung, Verkehr, Infrastruktur und vielem mehr beschäftigen muss. Dies ist genau das, was Latour unter Matters of Concern versteht. Nur: Wie sollen solche komplexen Sachlagen überhaupt visuell dargestellt und als eine Art Plan oder Blueprint dargestellt werden? Dies scheint ein unmögliches Unterfangen zu sein.

Aus diesem Grund muss man die Aufgabe des Designs von Matters of Concern eher als einen Prozess anstatt ein Produkt verstehen. Design in Bezug auf Matters of Concern heisst also nicht, dass man ein Produkt, eine sichtbare Darstellung irgendwelcher Art kreiert, sondern dass man Design als Prozess betrachtet. In der Tat hat das Wort «Design» zwei Bedeutungen: Einerseits bedeutet es eine Zeichnung, einen Plan, ein Modell oder einen Prototyp, und anderseits bezeichnet Design den Prozess der Erstellung oder Entwicklung eines Artefakts, Produkts oder auch ein ganzes System – wie zum Beispiel, wenn man vom Design eines komplexen Kommunikationssystems spricht, Computersystemen, Gebäuden, Städten und seit einiger Zeit auch vom Design von Ökosystemen und Organismen, bis hin zu «Designer Babys». Wenn von Design als Prozess gesprochen wird, was ist dann gemeint? Was für ein Prozess ist Design?

Stephan schlägt vor, «das Concerns-Konzept als Attraktor zu verwenden, das verschiedene Perspektiven integrieren kann». Was immer für Concerns Menschen haben, Design trägt bei zur Konstruktion der Rahmen, des Kontexts, in denen diese Concerns wahrgenommen und angegangen werden. Design, nach Stephan, «organisiert» die «Wahrnehmung und Interaktion» von Menschen. Design führt zu «neuen Formen der sozialen Interaktion». Dies ist wichtig, da Concerns sich «durch die Handlungen und Entscheidungen der Menschen, wie sie leben, welche Entscheidungen sie treffen, welche Politik sie unterstützen und welche Dinge sie kaufen sollten», manifestieren. Die Frage nach den Concerns ist nicht bloss eine Frage nach neuen oder innovativen Produkten und Dienstleistungen, sondern für die folgende Frage:

Welche Concerns veranlassen Menschen, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten? Wie interagieren Individuen miteinander, mit Artefakten und mit der Umwelt? Warum sprechen und kleiden sich die Menschen so, wie sie es tun? Warum kaufen Menschen bestimmte Dinge?

Die Antworten auf diese Fragen sind komplex, aber es herrscht Konsens, dass Menschen nicht autonome, rationale Subjekte sind, sondern vielfachen genetischen, psychologischen, sozialen und historischen Bedingungen unterworfen sind. Design kann diese Faktoren, die den Menschen in seiner Existenz und in ihrem Selbstverständnis bestimmen, nicht einfach ausser Kraft setzen, sondern, wie Stephan sagt:

Design kann nur versuchen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Designer müssen sich daher als «Libido-Ingenieure» verstehen, die Annahmen über die treibenden Kräfte von Concerns als Ausgangspunkte nehmen und durch die Einführung neuer Aktanten (um Latours Begriff zu verwenden)[7] versuchen, diese in neue Richtungen zu lenken. In gewisser Weise ist es Design-Voodoo: die Steuerung von Handlungen durch die Manipulation von Objekten, mit dem Unterschied, dass Transformationsdesign eine reale Wirkung hat, indem es Concerns berücksichtigt.

 

In der Vergangenheit waren es nach Stephan Rituale, welche die Aufgabe hatten, die Organisation von Wahrnehmung und Interaktion so zu gestalten, dass unsichere und furchterregende Ereignisse bewältigt werden könnten. Heute liegt die Verantwortung für diese soziale Funktion zunehmend bei den Designern. Das rituelle Handeln vormoderner Gesellschaften beruhte auf einer umfassenden und alles integrierenden Weltsicht. Es musste alles in Betracht gezogen werden: Ort, Zeit, Akteure, Ausgangslage, Technologien, Artefakte, vergangene Geschehnisse, Visionen der Zukunft, übernatürliche Kräfte und vieles mehr. Das Ritual war oft ein Mikrokosmos, in dem alle Weltbezüge reflektiert waren. In der Tat waren Rituale die Urformen menschlichen Handelns, der Sammelpunkt aller Kräfte und Energien, von den Tieren bis zu den Göttern. Während rituelles Handeln wohl das Wesentliche am menschlichen Existenzvollzug in der vormodernen Zeit ausmachte, fällt diese Aufgabe in der heutigen säkularisierten Welt allem Anschein nach dem Design zu.

Sind Designer dann als Hohepriester oder Schamanen zu betrachten, also diejenigen privilegierten Personen, die direkt mit den Göttern kommunizieren und die Kräfte des Kosmos bändigen können? Stephan stellt diese Frage in der heutigen Zeit in folgender Formulierung: «Sind Designer Superhelden, die die Welt retten wollen?» Diese Frage muss entschieden mit Nein beantwortet werden. Solange Designer die Welt aus ihrer professionellen Perspektive betrachten, ist das Beste, was von ihnen erwartet werden kann, dass sie möglichst viele Faktoren, welche die Organisation der Wahrnehmung und Interaktion der Menschen beeinflussen, in Betracht ziehen und auf jede nur denkbare Stimme hören, wenn sie sich Matters of Concern gestalten und somit die Welt verändern wollen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, schlägt Stephan eine Reihe von Methoden vor, die von Designern, die Matters of Concern ins Zentrum ihrer Tätigkeit stellen, entwickelt werden sollten:

  • Operationsketten so genau wie möglich beobachten.
  • Akzeptanz, dass auch Objekte Akteure sind.
  • Aufbau eines geeigneten Repertoires zur Aufzeichnung von Operationen (Datenvisualisierung, visuelle Rhetorik).
  • Verstehen der Concerns von Akteuren mittels Empathie und kognitiver Analyse.
  • Finden von Übersetzungen und Brüchen zwischen Werten, Concerns, Bedürfnissen und Themen.
  • Verfolgen der Deduktion und die dynamischen Veränderungen der Einstellungen und Meinungen.
  • Erfinden von alternativen Schriften und Übersetzungen (soziale Innovation).
  • Design von Dienstleistungen, Produkten und Umgebungen, die neue Skripte und Übersetzungen erfordern.
  • Implementierung neuer Dienstleistungen, Produkte und Umgebungen.
  • Beobachten der Wirkungen von neuen Skripten und Übersetzungen, evaluieren und die nächste Iteration starten.

Diese Liste, wie Stephan zu Recht bemerkt, ist nicht abschliessend und jede Empfehlung ist offen für Interpretation. Im Grunde genommen, und im Geist von Latour, könnte man sagen, dass es um eine grundsätzliche Erweiterung der traditionellen Werkzeuge und Methoden des Designs geht. Um Matters of Concern adäquat als Aufgabe des Designs zu verstehen, muss Design erstens alles tun, um alle relevanten Aspekte eines Problems, eines Matter of Concern, zu berücksichtigen. Das Netz muss sehr breit ausgeworfen werden, damit nichts und niemand durch die Masche geht, der eine berechtigte «Stimme» über mögliche Lösungen erheben könnte. Dies bedeutet, immer offen zu sein für das Auftauchen neuer Stimmen. Zweitens müsste Design herausfinden, welche Stimmen am meisten zählen oder das meiste zu sagen haben und somit zu Stakeholdern in einem Projekt, Produkt, Service oder einer Organisation werden. Drittens steht Design vor dem Problem, Prioritäten zu setzen. Nicht alles Mögliche kann wirklich werden. Nicht alles kann auf einmal realisiert werden. Design darf viertens nicht davon zurückschrecken, Strukturen und relativ feste und stabile Einrichtungen ((wie ist das gemeint?)) zu entwickeln und somit die Wahrnehmung und Interaktion von allen Beteiligten in bestimmte Bahnen zu lenken. Dies bringt unvermeidlich die Anerkennung von Grenzen und Einschränkungen mit sich. Fünftens soll, trotz aller Grenzen, die Weitsicht nicht fehlen. Design muss Bezug nehmen auf die umgebende Welt und die möglichen «globalen» Auswirkungen von allem, was man macht. Und schliesslich muss Design sorgfältig mit dem Problem von Macht und Entscheidung umgehen. Es müssen «Checks and Balances» oder eine Gewaltenteilung respektiert werden, was auf verteilte Entscheidungskompetenzen hinausläuft. Diese allgemeinen Anweisungen bilden eine Art Gerüst für Design als die Art und Weise, wie Matters of Concern angegangen werden können. Sie beschreiben, wie Design als Prozess diese anspruchsvolle Aufgabe annehmen könnte. Es muss jedoch betont werden, dass solche allgemeinen Anweisungen nicht nur für professionelle Designer sind. Sie gelten für alle, die sich heute mit Matters of Concern auseinandersetzen. Die Forderung Latours an Designer, sich mit Matters of Concern zu beschäftigen, geht über die Perspektive des professionellen Designs hinaus und deutet auf ein Verständnis von Design als das Wesentliche am menschlichen Handeln in einer Welt, die uns in jedem Belang, jedem «Matter» etwas angeht.

Stephan schliesst seine Überlegungen zur Aufgabe des Designs und der Designer mit der Aufforderung, dass Design bewusst eine führende Rolle in der Gesellschaft übernimmt:

In unserer Epoche des Anthropozäns ist die Macht des Menschen, die Welt zu gestalten, einschliesslich seiner selbst, fast vollständig. In zunehmendem Masse können und müssen Entscheidungen getroffen werden, die vorher entweder aufgrund von Sachzwängen oder rituellen Verhaltensweisen nicht durchführbar waren. Tief greifender, permanenter Wandel fordert das Design heraus, das heute als fähig verstanden wird, den vom Menschen geschaffenen Lebensraum infrage zu stellen und neu zu konzipieren.


[1] Peter Friedrich Stephan ist Professor für Transformation Design an der Kunsthochschule für Medien Köln. http://www.peterstephan.org/. Wir bedanken uns an dieser Stelle für das Erlaubnis, seinen Text hier veröffentlichen zu dürfen. Die Übersetzer David Krieger und Simon Meyer.

[2] Siehe Latour, Bruno: Kampf um Gaia: Acht Vorträge über das neue Klimaregime (Suhrkamp 2017), und Ders.: Das terrestrische Manifest (Suhrkamp 2018).

[3] https://www.bfi.org/about-fuller/big-ideas/world-game

[4] https://en.wikipedia.org/wiki/Charles_and_Ray_Eames

[5] https://en.wikipedia.org/wiki/Isotype_(picture_language)

[6] https://www.aiga.org/designing-for-social-change-stumbles-to-strategies

[7] Ein Aktant ist jedes Wesen, menschlich und nicht-menschlich, das zusammen mit anderen ein Akteur-Netzwerk bildet. Nienetwiler würden von einer «Sammlung» sprechen.


  1. Inhaltsverzeichnis CRN 2-2021-1
  2. Editorial
  3. Einleitung der Herausgeber – Utopie als Gesellschaftsdesign
  4. Peter Friedrich Stephan über Design
  5. Das Ende von Arbeit und der Anfang von Design
  6. Biografie Amot Nussquammer jun
  7. Briefwechsel Nussquammer – Arbogast
  8. Alaju: Die Wörter «be», «gabe», «tobe»
  9. Grabungsbericht und Fundinterpretation N1/1 «Skandi-Stein»
  10. Biografie Patrizia Am Rhyn
  11. The Alaju Settlement - Teil 2
  12. Ausblick CRN N° 3-2021/2
  13. Impressum / Autorin und Autoren CRN 2