Grabungsbericht und Fundinterpretation N1/1 «Skandi-Stein»

Der «Skandi»-Stein der Siedlung «Nienetwil 1» aus der Grabung N1/1 – Grabungs- und Fundbericht sowie Wissenswertes über den Zweck des Steines in der Nienetwiler Kultur.

Grabungsbericht von dipl. Ing. Hermann Tobler

Zum «Skandi»-Stein in der Nienetwiler Kultur: Prof. Dr. Nomis Arbogast

 

Die Grabungen N1/1

Die Funde aus den Altgrabungen von 1911 sowie den Prospektionen zwischen 1894 und 1946 in der näheren Umgebung von «Nienetwil 1» liessen darauf schliessen, dass an dieser Stelle tatsächlich eine aufgelassene Siedlung der Nienetwiler Kultur lag. Die Prospektionen, insbesondere jener in der Mulde südsüdwestlich des eigentlichen Siedlungsplatzes, gaben ein deutliches Bild einer gut sechstausend Jahre andauernden Besiedelung des Platzes. In der kleinen Rinne im späteren Grabungsfeld D18-F3 wurden neben einer bronzenen Latene-zeitlichen, welche der Pommerschen Fibel aus Mölln-Medow (Insel Rügen) ähnelte, eine Silex-Steinspitze aus der Glockenbecherzeit gefunden. Stein und Abschlagbild lassen auf Le Grand-Pressigny schliessen. In derselben Rinne wurden zwei frühkaiserzeitliche römische Gold-Asse, das Fragment einer ägyptischen Glasarbeit und eine aus dem 11. Jahrhundert stammende Silbermünze gefunden.

Dieses für Nienetwiler Siedlungsplätze typische Fundbild veranlasste uns, im Frühjahr 1946 in gemeinsamer Arbeit mit Dr. Müller von der Naturforschenden Gesellschaft Luzern und Herrn Dr. Am Ryn von der «Prähistorischen Kommission» selbiger Gesellschaft eine erste kleine Grabung in den später als Feld A1-A1 bis A4-A1 bezeichneten Siedlungsabschnitten durchzuführen. Die erste Kulturschicht unterhalb des Waldbodens liess aufgrund der Funde auf eine letzte Besiedlung im frühen 12. Jahrhundert schliessen. Allerdings – und das traf auf alle Fundschichten zu – scheint es, dass die Siedlung jeweils über längere Zeit bewohnt und dann wieder für Jahrzehnte verlassen war.

Nach Beendigung dieser Sondiergrabung wurde beschlossen, dass die Grabungen im darauffolgenden Jahr wieder aufgenommen werden sollten. Dies geschah unter der Leitung von d’Aciel Arbogast und wurde finanziell durch die Naturforschende Gesellschaft und Frau Patrizia Am Rhyn unterstützt.

 

Fundsituation des «Skandi»-Steines N1/1 [neues Archivverzeichnis Museum Nienetwil, Signaturnummer: MUNI_03.01.002.0005 (Anm. Herausgeber)]

Am Montag, dem 28. April 1947 wurde im Grabungsquadrat B12-B4 in Schicht 8 die Oberfläche eines «Skandi»-Steines freigelegt. Schicht 8 war eine sehr dünne, auf Ablagerungen während einer Phase der Nichtbesiedlung zurückzuführende Schicht von nur wenigen Millimetern bis wenigen Zentimetern. Sie enthielt keine Funde. Eine Woche später – Schicht 8 war nun auf der gesamten Grabungsfläche abgetragen – zeigte sich die Fundsituation wie auf Fundplan B12-4 dargestellt. Nebst verschiedenen Keramikfragmenten, Knochenstücken und verkohlten Holzstücken lag in Ost-West-Richtung umgestürzt ein «Skandi»-Stein von ca. 32 × 39 × 12 cm Grösse. In seiner Mitte war das «Skandi»-Symbol (siehe Skizze 2) eingraviert.

 

«Skandi»-Steine in der Nienetwiler Kultur

Skandi bedeutet im Alaju, also der Sprache der Skandaj, etwas erschaffen, Kreativität, Glück, Licht und Gesang. Steine mit dem Symbol der offenen Hand (siehe Skizze 2) wurden jeweils in den Saisonsiedlungen der Skandaj aufgestellt, teils auch am Eingang. Die Nienetwiler Kultur kann als nomadisch bezeichnet werden. Feste Siedlungen wurden stets abgelehnt, da die Konsequenzen (Verteidigung des Besitzes, Gewalt, Abhängigkeit von regionalen Ressourcen usw.) als zu negativ beurteilt wurden. Die Siedlungen, meist bestehend aus vier bis maximal zehn Gebäuden, teilweise auch nur Zelten, Jurten oder ähnlichen temporären Bauten, wurden meist in den Wintermonaten aufgesucht, in manchen Gegenden für kurze Zeit auch in anderen Jahreszeiten. Die Plätze standen allen Reisenden, insbesondere aber den Skandaj zur Verfügung. Es waren Plätze, an denen Wissen und Güter ausgetauscht wurde.

Oben: Aufnahme des  Skandi -Steins im Museum Nienetwil, Verz.-Nr.: MUNI_03.01.002.0005

Der erste bekannte «Skandi»-Stein stammt aus Tansania und wurde 1909 von meinem Vater d’Aciel Arbogast in der Nähe von Mheza ergraben. Sein Alter wird aufgrund der Fundlage und Begleitfunde auf rund 54’500 vor unserer Zeitrechnung datiert. In der Zwischenzeit sind weltweit 108 dieser Steine bekannt, davon je zwei aus der Schweiz und aus Frankreich. Es ist anzunehmen, dass bereits weitaus mehr gefunden worden sind. Dies, da es in der Vergangenheit immer wieder zu Fehlinterpretationen des Symbols kam und es leider oft als «Sonnensymbol» bezeichnet wurde. Zudem stehen viele der Steine heute noch in der Landschaft und wurden einfach als Standing Stone, Schalenstein oder Ähnliches in Karten eingezeichnet, ohne dass auf das Symbol eingegangen wurde.

Es ist zu hoffen und zu erwarten, dass nach der Beendigung der Auswertungen der Grabung «Nienetwil 2» und mehrerer anderer, bisher noch nicht veröffentlichter Fund- und Grabungsberichte die Nienetwiler Forschung dadurch erneut etwas Schub bekommt.


  1. Inhaltsverzeichnis CRN 2-2021-1
  2. Editorial
  3. Einleitung der Herausgeber – Utopie als Gesellschaftsdesign
  4. Peter Friedrich Stephan über Design
  5. Das Ende von Arbeit und der Anfang von Design
  6. Biografie Amot Nussquammer jun
  7. Briefwechsel Nussquammer – Arbogast
  8. Alaju: Die Wörter «be», «gabe», «tobe»
  9. Grabungsbericht und Fundinterpretation N1/1 «Skandi-Stein»
  10. Biografie Patrizia Am Rhyn
  11. The Alaju Settlement - Teil 2
  12. Ausblick CRN N° 3-2021/2
  13. Impressum / Autorin und Autoren CRN 2