Alaju CRN 4-2022-1

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Weitere Artikel zum Alaju in den vorhergehenden CRN-Ausgaben finden Sie hier: Die Alajuwörter tu katatehe und home  und Alaju: Die Wörter «be», «gabe», «tobe»

Die Wörter kuku, toho und musei

kuku

Bedeutung
Spiel; kukut = spielen

In der Nienetwiler Kultur gab und gibt es, wie in anderen Kulturen auch, Dutzende, ja Hunderte Spiele. Doch sie wurden nicht «Spiel» genannt. Dass Kinder spielen, hat nichts damit zu tun, dass sie Unterhaltung möchten – die tragische Straftat, Kinder mit etwas zu unterhalten, haben die Menschen der modernen Zeit erfunden –, sondern aus einem ganz anderen Grund: Das Gehirn des Kindes ist am Anfang noch am Lernen und kann, zumindest nach unseren Massstäben, nur schlecht zwischen dem unterscheiden, was in seiner Vorstellung geschieht und was in dem vorgeht, was wir Wirklichkeit nennen.
Dass das Kind mit zunehmendem Alter mehr und mehr mit konkreten Fragestellungen konfrontiert wird, führt dazu, dass es verschiedene Aspekte dessen, was in ihm vorgeht, hinterfragen muss oder einfach beiseitelegt, weil es ihm beim Lösen eines Problems wenig oder gar nicht hilfreich ist. Das führt dazu, dass sich auch die Art des Spiels ändert. Lernspiele, sportliche oder musikalische Spiele, Wettkampf und Ähnliches treten an die Stelle des Versunkenseins in einer inneren Welt.
Das Spiel, das in den westlichen Kulturen und unter deren Einfluss auch bei anderen als «eine Tätigkeitsform, die zum Vergnügen, zur Entspannung, allein aus Freude an ihrer Ausübung, aber auch als Beruf ausgeführt werden kann», verstanden wird, grenzt sich so ab von einem Mit-sich-und-der-Welt-Sein. Es ist eine Tätigkeit geworden und ging als Zustand verloren. Ganz anders verhält es sich in der Nienetwiler Kultur, und das ist noch heute deutlich bei vielen Skandaj zu beobachten. Das Wort kuku drückt daher nicht eine Tätigkeit aus, sondern einen Zustand des Einsseins mit allem, des Vernetztseins mit allem und des Sammelns (gadho).

Trivia
Bei den Skandaj gibt es das Sprichwort: «matu·akukut·matra·hen,ta·aieh·hen·matu; eta·hen·matu·aiehba·akukut:». Das bedeutet in etwa: «Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.»
Dieses Sprichwort übernahm der deutsche Dichter Friedrich Schiller 1792 von dem Skandaj Annuel Mikum, der damals oft in Weimar zu Gast war und der als sinniger Denker und guter Trinker in mehreren Tagebüchern und Briefen der damaligen Zeit Erwähnung fand. In einem Fragment der ersten Fassung seiner Publikation «Über die ästhetische Erziehung des Menschen» dankt Schiller einem An.Mi. mit einem kurzen «Dank dem Worthe An.Mi.».

Verzeichnisnummer
AL0269

Herkunft
Ur-Alaju. Wortstamm *kh- (spüren) + *ku- = erforschen, erfahren. Vgl. Bantusprachen: kucheza

Ch’apis
Siehe: kuku

 

toho

Bedeutung
Chaos, etwas, das im Fluss ist und noch nicht seine endgültige Form angenommen hat (z. B. Lava)

Das Chaos, im Sinne von Materie (ma), die noch nicht ihre Bestimmung gefunden hat oder noch keinen Vermittler fand, ist eines der grossen Abenteuer in der Nienetwiler Kultur. Wo die einen eine reformatorische Aufgeräumtheit bevorzugen, wird in der Nienetwiler Kultur die inspirierende Kraft des Chaos geradezu verehrt. Nicht dass nicht eine gewisse Ordnung bei den Werkzeugen Platz hätte, aber zu ordentlich darf es nicht sein. Wie viele neue Techniken konnten entdeckt werden, weil der eigentlich gesuchte Stechbeitel gerade nicht aufzufinden war und stattdessen ein anderes Werkzeug genutzt wurde?
Der Nierentisch, sicherlich keine Design-Glanzleistung, war nichts anderes als der Abschnitt des eigentlich verwendeten Sperrholzrandes, der als Randabdeckung für ein kleines Balkon-Gemüsebeet Verwendung gefunden hatte. Das gerundete Brett stand einfach im Durcheinander all des Holzes in Horgis Werkstatt herum. Drei Beine eingezapft, türkis gestrichen: Fertig!
Auch das Chaos der Gedanken wird als inspirierend – und nicht wie im modernen Westen heute üblich als ermüdend oder auslaugend – betrachtet. Es dient der Meditation auf be 1, die Möglichkeiten.

Trivia
Es war der grosse und bekannte Skandaj-Denker und -Handwerker Erza Kapat, ein Lederer und Sattler, wie es vor ihm nur wenige gab, der, als er vor seine das Handwerk von ihm Erlernenden trat und seinen Werktisch betrachtete, folgende Worte sprach: «So·emune·den·skandi:elet·den·mabe·hen·ma; ul·zima; eta·eskandi·od·den·he·toho:»

Dieser Ausspruch ist inzwischen weltweit bekannt, denn: Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass Immanuel Kant seinen Vater, der ebenfalls Sattler war und aus einer alten lettischen Familie stammte, auf einer Reise an das Kurische Haff nach Labiau (heute Polessk) begleitete, um bei Erza einen ganz besonderen Lederschnitt zu erlernen. Der grosse bärtige Sattler mit seinem fremdländischen Aussehen muss ihn beeindruckt haben und ebenso seine Sprache, die, wenn er sie ab und zu sprach, von seinem Gehilfen für die Anwesenden übersetzt wurde. Manuel war erst zwölf Jahre alt und es dürften wohl auch die rätselhaften und zutiefst philosophischen Erklärungen Erzas zu den Handgriffen und dem Handwerk an und für sich gewesen sein, seine Sprache, die ihm in Königsberg auf den Märkten ab und zu begegnet war und die er nicht einzuordnen wusste, und Erzas Erscheinung, dass er sich mit den Sprachen und der Philosophie beschäftigen wollte.
In seiner «Vorrede der Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels», die er 1755 verfasste, flocht er jedenfalls diesen Satz geschickt ein, als wäre es eine Floskel, und doch birgt sie so viel von Erzas Weisheit.
Er schrieb: «Nunmehro mache ich getrost die Anwendung auf mein gegenwärtiges Unterfangen. Ich nehme die Materie aller Welt in einer allgemeinen Zerstreuung an und mache aus derselben ein vollkommenes Chaos.»

Verzeichnisnummer
AL0165

Herkunft
Ur-Alaju. Wortstamm *h- = Leere, und *to- = ohne Bestimmung sein

Ch’apis
Siehe: toho

 

musei

Bedeutung
Zustand/Wissen des Verbundenseins, ein Spiel, um Wissen zu erlangen und/oder zu vermehren

Die obgenannte Bedeutung des Wortes ist höchst unzulänglich, da ungenau. Es gibt jedoch keine genauere Bedeutungsangabe, da das Wort nicht in primitive Sprachen wie Deutsch oder Englisch übersetzbar ist. musei bedeutet im Alaju einen Zustand, der sich aus dem Wissen der Verbundenheit mit allem bzw. dem Wissen, dass alles miteinander zusammenhängt, ergibt. Im engeren Sinne bedeutet er auch einen rauschhaften Tanz, der diese Verbundenheit und das Wissen darum feiert.
In der Nienetwiler Gesellschaft tanzt man oft gemeinsam, bevor man Wissen austauscht und darüber diskutiert. Mit dem Tanz widmet man sich quasi dem Zustand der Verbundenheit und kann sich so auch über verschiedene Meinungen zu einem Thema bewusst werden. Das bedeutet in der Diskussion, dass nicht erst ein anderer Standpunkt überwunden werden muss, sondern dass gleich mit dem Spiel der Verbindung (Information/Wissen austauschen) begonnen werden konnte.

Die Skandaj fanden den Austausch von Wissen mit vielen Kulturen sehr anstrengend, da es den meisten Menschen eher darum ging, die anderen von der eigenen Meinung zu überzeugen, statt sich in das Spiel des Verstehens und Verbindens zu begeben.
In der Vorantike und Antike wurde ansatzweise das Nienetwiler Denken im Bereich des Wissensaustauschs übernommen, und gerade im antiken Griechenland ergab sich daraus eine neue Denk- und Diskussionskultur, die später, wenn auch bis zur Unkenntlichkeit entstellt, fast die gesamte Welt beeinflusste.
Dem musei, also diesem Zustand, den sie nicht richtig erklären konnten, widmeten die Griechen der Antike das, was dann als «Musen» bekannt geworden ist. Sie rissen also das, was verbunden war, auseinander und steckten es in Frauenkörper, die sie Musen nannten und denen sie Opfer darbrachten. Bei den Altären der Musen und später in ihren Tempeln, die sie Museion nannten, redeten sie dann über die Kunst, welche damals noch nicht getrennt war und die nebst den verschiedenen Künsten auch die Philosophie und die Wissenschaften beinhaltete.

Verzeichnisnummer
AL0277

Herkunft
Ur-Alaju. Wortstamm *mu- = das alles Verbindende, und sei (zusammengesetzt aus den Wortstämmen *s- = fokussieren und *ei- = Bewegung). Wörtliche Übersetzung in etwa: alles Verbindende fokussiert auf eine Bewegung

Ch’apis
Siehe: musei